Liebe neue Wechselmama

Ein Mutmachbrief.

Neulich erreichte mich deine Nachricht, auf irgendeinem dieser vielen Kanäle. Ich las es nebenher, auf dem Sprung in die U-Bahn, dann war schon wieder irgendetwas anderes, Menschen schubsten, neue Nachricht auf Insta, ein Anruf zum Morgen, Anfragen auf LinkedIn – doch später kamst du wieder in meinen Kopf, und seitdem bist du da drin.

Du warst so verzweifelt, weil ihr nach Eurer unschönen Trennung mit dem Wechselmodell beginnen sollt.

Du wusstest nicht, wie du deinen kleinen Kindern erklären kannst, dass du sie nicht mehr jeden Abend ins Bett bringen wirst, weil sie von nun ab jede zweite Woche von ihrem Papa ins Bett gebracht werden.

Eure Kinder sind noch klein, das zu-Bett-bringen ist immer deine Aufgabe gewesen. Wie sollen sie es jetzt verstehen, wenn dies auf einmal der Papa tut. Wie sollen sie jetzt einschlafen, wenn sie es doch sonst auch nur mit dir können. Wie sollen sie sich fühlen, wenn du nicht mehr kommst abends, was wird das mit ihnen machen – werden sie denken, sie sind dir egal?

Du machst dir Sorgen, dass du deine Kinder verlierst und sie keine Bindung mehr aufrecht halten können, weil du nicht mehr darüber Bescheid weißt, was sie essen, wann sie zu Bett gehen, wie sie ihren Alltag verleben, wovon sie träumen, was sie beschäftigt.

Du hast gefragt, ob irgendjemand auf dieser Welt wohl auch gute Erfahrungen mit diesem Modell hat und dir Mut machen kann. Du schriebst, du seist sicher, dass es einfach nicht funktionieren kann, dieses beidseitige erziehen, wenn ihr Euch nicht einig seid über irgendwas und Euch erst nach harter, intensiver Mediation auf das Wechselmodell verständigt habt.

Liebe neue Wechselmama, ich bin mir sicher, es kann funktionieren.

Vielleicht nicht jetzt. Vielleicht auch nicht gleich. Aber mit Sicherheit irgendwann. Der Start ins Wechselmodell ist meistens holprig. Der Start ins neue Leben auch.

Es gibt gute Sachen, die du jetzt noch nicht sehen kannst:

Du und der Papa konnten sich in der Mediation einigen.

Egal wie schwer und notgedrungen es war, es zeigt doch, dass ein gewisser Keim an Kooperation vorhanden ist, egal wie klein, er ist aber da – jetzt noch unsichtbar für dich. Ihr Eltern seid zusammen für eine gewisse Zeit immer wieder zu einem Mediator gegangen, das erfordert einen großen Willen zur Kooperation, Verbindlichkeit und …Liebe.

Egal, wie klein der gemeinsame Nenner dann auch schlußendlich aussieht, egal, wie groß Eure Wünsche und der Schmerz und wie klein das Ergebnis dagegen schlußendlich wirkt.

Ihr wohnt weiterhin in geringer Distanz zueinander, Ihr seid Euch über die Wechseltage einig. Ihr habt bereits Kompromisse und Zugeständnisse für die Kinder gemacht. Nun fehlt nur noch das Mitgefühl für Euch und Eure Situation – und das hat Zeit.

Denn das, was Ihr trotz Eurer klaffenden Wunden imstande wart zu leisten, ist enorm:

Ihr beide handelt nun erstmal zum Wohl Eurer Kinder.

Und dies geschieht trotz der Verletzung und Scham und Wut und Traurigkeit und dem Trotz und der vielen Gefühle, die entstehen, wenn einer aus dem Karussell aussteigt, welches sich eigentlich für immer für Euch drehen sollte.

Aber wie solltest du diese kleinen Lichtblicke jetzt schon sehen, unter all dem Schuttberg aus Emotionen und Unwissenheit, der erstmal mühevoll abgetragen werden muss.

Frau von hinten vor UBahn

Liebe neue Wechselmama, du schriebst, du hättest ein Wechselmodell früher niemals mit dir machen lassen. Du wärst auf die Barrikaden gegangen, du hättest einen Aufstand geprobt, du hättest dir Hilfe geholt, von Lehrern, Verwandten, Freunden. Niemals hättest du deine Eltern aufgeteilt, niemals hättest du es zugelassen, niemals hättest du aufgegeben, du hättest gekämpft und getobt. Solange, bis deine Eltern endlich verstanden hätten, dass „sich trennen“ keine Option ist.

Dass man sich trennt, obwohl man Kinder in die Welt setzt, das kannst du bis heute nicht verstehen.

Denn du hieltest fest an deinem Versprechen, du glaubtest, man kann das kitten. Dein Partner glaubte daran nicht.

Liebe neue Wechselmama, ich bewundere deine Kraft und den Willen, mit dem dein Kinder-Ich um deine Beziehung kämpft. Die jetzige und auch die frühere, hätte es dort eine Trennungssituation je gegeben.

Ich befürchte nur, es ist vergebene Energie. Denn wenn ich eins gelernt habe im Leben:

Wir können für uns, aber nicht für andere verantwortlich sein.

Und somit entstehen immer wieder Situationen, die wir nicht beeinflussen können und – bei allem Schmerz und Ungläubigkeit – manchmal loslassen müssen.

Um eine neue Zukunft zu gestalten und nicht mit der Vergangenheit zu hadern. Ab einem bestimmten Punkt, liebe neue Wechselmama, ist ein betrauern nicht mehr hilfreich, sondern hinderlich. Dann heißt es anpacken, zupacken, neu gestalten und die traurigen Momente auf die stillen Zeiten verschieben. Wenn wir ganz für uns sind und durchatmen können. Vielleicht wenn die Kinder schlafen, beim Papa oder bei dir, und du diese Zeit nutzen kannst, um der Traurigkeit Raum zu geben.

Denn im Leben da draussen, da hört die Geschichte nicht mit dem Start zum Wechselmodell auf. Da fängt die Geschichte erst an.

Und du brauchst viel Energie. Denn ab hier steht alles auf Neustart. Ob dieser gut wird, muss sich noch rausstellen. Doch zum Glück hast du hier wieder einen großen Anteil dran.

Liebe neue Wechselmama, ich weiß nicht, wo genau in der social-media-Welt mir dein Aufruf begegnete. Ich finde ihn nicht mehr, er ist verloren gegangen, irgendwo zwischen U-Bahn, Café to go und Jobgedanken. Der Gedanke daran, meine digitalen Identitäten nicht im Griff zu haben und eine wichtige Nachricht wie die deine verlieren zu können, ärgert mich. So sehr, dass ich schlußendlich aus dem social media Zirkus ausgetreten bin. Alle Accounts sind gelöscht, im Moment fühlt sich das einfach leicht und befreit und schön an.

Das bedeutet leider auch, dass ich deinen Eintrag nie mehr finden werde, sollte er sich noch irgendwo versteckt haben. Ich kann also nur hoffen, dass DU dich HIER wiederfindest, in meinem kleinen Mutmachbrief, auf meinem kleinen Blog. Denn allein bist du nicht, das sollst du wissen. Und vielleicht finden wir uns irgendwann wieder auf social media, sollte ich jemals wieder zurückkehren. Dann freue ich mich umso mehr, du tickerst mich an. Bis dahin bleib stark und großzügig. Alles Liebe, Deine Mareike.

Bild: Eutah Mizushima I Unsplash _ Text: Mareike Milde

3 Replies to “Liebe neue Wechselmama”

  1. Liebe Mareike,

    du hast zwischen den Zeilen so viele Liebe, Wertschätzung und Klarheit reingebracht. Ich konnte schon in dem ersten Abschnitt herauslesen, dass du darin soooo viele Erfahrungen sammeln durftest und wohl auch musstest.

    Nichts desto trotz, wie schwer es auch sein mag, du hast dich da auch eingegroovt und das schaffen die anderen Elternteile in dem Wechselmodell auch. Auch wenn es ein Neustart ist, der auch ganz schön holprig sein kann, du zeigst den Eltern da draußen, dass es möglich ist – auch wenn nicht immer ganz rosig. Daher die Gedanken, die du hier teilst mit dem „nicht mehr jeden Abend zu Bett bringen“ da sprichst du vielen Eltern AUS DER SEELE.

    Zu mir kommen auch viele Eltern mit diesen Herausforderungen und ich kann auch eines sagen: „Geht den Weg, aber nicht alleine.“ Es ist so wichtig Gleichgesinnte zu finden.

    Ich wünsche dir und allen Eltern da draußen alles Liebe!

    Beste Grüße,
    Birgit Gattringer (StarkeKids)

  2. Liebe Mareike,

    durch Zufall bin ich auf Deinen wundervollen Blog gestoßen und möchte Dir gerne meine Gedanken dazu mitteilen. Wir praktizieren das WM seit 1,5 Jahren. Es klappt gut. Mit eben den kleinen schönen Seiten und großen Herausforderungen. Aber auch schönen Geschichten wie dieser dass wir das erste Mal zusammen sitzen, bei der Übergabe in drei Wochen bei einem leckeren Essen, wo mein neuer Partner herkommt. Vor 3 Jahren alles undenkbar. Die Pandemie, der Krieg u.a. hat einiges umgedreht. Sich konzentrieren auf das Wesentliche…

    Beim Lesen deiner Beiträge dachte ich, Wahnsinn wie viele parallelen, ähnliche Gedanken und Gefühle. Du schreibst mir aus der Seele und das zu lesen, das hat mich innerlich sehr bekräftigt und erleichtert. Danke für diese offene ehrliche Mitteilung deiner Rolle als WM Mama. Und es ist immer wieder Emotions – und Energie Arbeit.

    Hab einen schönen Sommer und genieße.
    Ganz liebe Grüße,

    Corinna

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