Der Pakt

oder: Warum gibt es eigentlich keine U-Untersuchungen für Trennungskinder?

Es war eine schöne Mama-Woche, wir waren viel unterwegs. Ein Besuch bei den Großeltern, ein Besuch in der Stadt am Rhein, natürlich mit der Bahn.  Das Moglikind liebt es, geschäftiges Treiben am Bahnhof, Platzsuche im Zug, vorzeigen der Kinderkarte. Nun sind wir wieder zu Hause, am letzten Tag der Mama-Woche, erneut sitzt er bei der Eisenbahn, diesmal aus Holz und in Miniatur. Er spricht darüber, was er alles machen will in seiner Papa-Woche. Ich frage ihn, was er Papa aus unserer Woche erzählen wird. Er sagt: „Garnichts. Dann wird er ja traurig.“

Wenn Kinder Verantwortung für Ihre Eltern übernehmen, ist das doof. Wenn auf der Elternebene noch einiges in Schieflage ist und die Kommunikation noch nicht in die Tiefe gehen kann, dann ist das auch doof. Ich würde mich so gerne beraten, mit dem anderen Elternteil, und herausfinden, ob dies nur so daher gesagt ist oder wir etwas ändern können. Aber so weit sind wir noch nicht. Noch können wir nicht über Dinge sprechen, die auch nur im entferntesten als ein Vorwurf an den anderen umgedeutet werden können.

Wieviel Verantwortungsgefühl ist okay?

Ich beobachte das Moglikind. Schon ist es wieder eingetaucht, in die Welt der Holzbahngleise und Güterwaggons, aktuell ist großer Betrieb vor dem Containerbahnhof, es werden alle Kräfte gebraucht, die Ware zu verteilen, das Moglikind hechtet atemlos von Schiene zu Schiene und verscheucht mich, mein Knie blockiert die wichtige Wechselweiche.

Ich weiß nicht, ob ich mir zu viel Sorgen mache. Ich versuche, es zu akzeptieren, wie es auch das Moglikind akzeptiert. Ich merke, dass es mich wütend macht.

Werdende Mütter und Ihre Babys sind durch das Mutterschutzgesetz geschützt. Regelmäßige Arzt-Checks, Hebammen Vor- und Nachsorge (sofern man eine bekommt, aber das ist eine andere Geschichte…), engmaschige U-Untersuchungen sind etabliert und werden gelebt. Doch wenn Eltern in eine Trennungssituation geraten, gibt es keine U-Untersuchungen für Trennungskinder.

Ich finde, man sollte für einen Sorgerechtsstreit erst dann vor Gericht gehen können, wenn im Vorfeld ein verpflichtendes Coaching für beide Eltern stattgefunden hat, das den Umgang  mit den Kindern in dieser außergewöhnlichen Situation behandelt. Egal, ob eine Ehe besteht oder ein anderes Lebensmodell.

Verpflichtend ab dem Zeitpunkt, ab dem ein Elternteil einen Antrag auf Umgangsregelung vor Gericht einreicht. Mit abschließender Beurteilung und Auflagen für die Elternteile, die sich einem solchen Kurs verwehren.

Es braucht ein Coaching, dass die typischen Phasen einer Elterntrennung wie Fassungslosigkeit, Wut, Verzweiflung und Trauer behutsam mitbegleitet. Ein Coaching, in dem die Kinder auch regelmäßig mitbetreut werden können, wie bei U-Untersuchungen, um sicherzustellen, dass sie mit der Situation nicht alleine gelassen werden. Und um zu lernen, dass es sie weiterhin gibt, die Eltern – Kind Ebene, nur eben ab jetzt in einer anderen Konstellation.

Denn wie kann es sein, dass die Kinder so außer Acht gelassen werden, während die überforderten Trennungseltern damit beschäftigt sind, ihre emotionalen Wunden zu verarzten, Stellungnahmen über die Vergehen des Ex-Partners zu schreiben, Anwälte zu konsolidieren, Haushalte auseinander zu dividieren? Es ist doch völlig klar, dass sowas schiefgehen kann.

Dass wir Eltern mit unseren Sorgen selbst umgehen müssen, geschenkt. Wir sind erwachsen, wir haben das verbockt, wir sind für uns selbst verantwortlich.

Doch dass von Seiten der Gesetzgebung davon ausgegangen wird, dass die Streitenden Ihre Kinder in diesem Taumel allumfassend vor den Folgen einer Trennung schützen können, halte ich für fatal.

 

Kann man nicht vorsorgen, damit erst gar keine Auffälligkeiten entstehen?

Natürlich gibt es das Bundeskinderschutzgesetz. Wir hatten dazu zwei Termine. Man riet uns, die Dinge vor Gericht zu klären. Als wenn damit die Situation geklärt ist, wie ein zu teilender Haushalt – du das Sofa, ich den Schrank, jetzt haben wir es ja.

Mittlerweile werden auch von Seiten der Gerichte Auflagen für Mediationen gestellt. Ob diese erfolgreich abgeschlossen werden, wurde zumindest bei uns nicht überprüft. Wenn also ein Elternteil nicht kann oder will, muss der andere Elternteil anschließend erneut klagen. Was wieder den Fokus von den Kindern wegrückt und vor allen Dingen: die Situation zwischen den Streitenden weiter verschärft.

Ich bin mir sicher, ein verpflichtendes langfristiges Coaching vor einem Sorgerechtsprozess würde die völlig überlaufenen Gerichte stark entlasten. Es würden weniger Folgegerichtstermine angesetzt werden müssen. Und die Gerichtsstunden würden nicht mehr einer Therapiestunde gleichen, sondern könnten sich endlich mehr auf die Faktenlage konzentrieren. Weil die emotionalen Spitzen bereits im vertrauensvollen Umfeld mit Psychologen, Mediatoren oder Sozialpädagogen behandelt wurden.

Und ich bin mir sicher, es gäbe weniger Auffälligkeiten und Spätfolgen bei den Kindern. Weil diese in der schlimmsten Phase der Entzweiung Ihrer Eltern zusätzlich an die Hand genommen würden.

Zwei Pakte auf eine Wechselweiche

Wir schließen einen Pakt, das Moglikind und ich. Er darf mir alles erzählen, immer. Er braucht keine Sorge zu haben, ich könnte jemals traurig sein.

Ich schließe noch einen Pakt, diesmal mit mir. Egal, was er mir in den kommenden Jahren anvertraut, wie sehr es mich ärgern, frustrieren oder wütend machen könnte, er soll nie das Gefühl haben, dass er mich damit belastet. Bei allen Wechselweichen dieser Welt, ich gelobe, das zu vermeiden.

Und das sind wir ihnen doch schuldig, unseren Kindern. Eine freie, wilde, leichte Kindheit, voller Unsinn, Albernheiten, falschen Entscheidungen und Grenzüberschreitungen. Wir sollen starke Eltern sein, die die Kraft haben, ihr Kind so lange auf der Kinderebene spielen zu lassen, bis sie bereit sind, diese von selbst zu verlassen. Und solange das nicht von beiden Seiten aus möglich ist, besuche ich die Coachings eben alleine. Damit das Moglikind weiterhin alles erzählen kann, was es möchte. Zumindest jede zweite Woche.

Bild: kaboompics
Text: Mareike Milde

6 Replies to “Der Pakt”

  1. Hallo Wechselmama. Ich danke Dir sehr für deine Blog!
    Es hilft mir.
    Ich habe mich leider zu Verteidigungs-Rückschlägen hinreißen lassen, die im Abgang bitter sind. So bitter dass ich Angst habe dieser wunderliche Geschmack bleibt an mir haften.
    Ich muss lernen mir das zu verzeihen, auch wenn es nichts als die Wahrheit war das ich gesagt habe, hat es keinem was gebracht. Am wenigsten meinem Kind.
    Wie dem auch sei…
    Dein Block ist inspirierend. Ich wünschte ich hätte ihn früher gelesen.

    Alexandra

  2. Für mich der stärkste, aussagekräftigste Artikel dieses Blogs. Berührt mich sehr, auch weil wir gerade die gleichen Themen durchmachen. Zu Hause gibt es Vorbehalte über die Art der Kommunikation mit unseren Kindern und der Trennungskommunikation. Das hat mir wirklich geholfen, transparent und klar mit meinen Kindern zu sprechen. Danke Mareike.

  3. Hallo Mareike, was können wir nur unbewusst alles unseren Kindern antun?? Ich habe mich geschämt, als ich das hier las. Kürzlich sagte ich zu meinem Sohn, dass ich nicht möchte dass er mir Dinge von der neuen Partnerin seines Vaters erzählt, weil es unwichtig ist. Welchen Druck habe ich damit in ihm erzeugt? Ich glaube ich muss einiges gerade rücken demnächst….danke fuers wachrütteln: (

  4. Nachtrag 12.11.:
    Am 25.10. lief in der NDR Nordstory ein 6-minütiger Beitrag, bei dem der vom Familienministerium für die Studie „Kindeswohl & Umgangsrecht“ beauftragte Dr. Stefan Rücker (Forschungsgruppe Petra) sich für eine Stärkung der Beratungsangebote in der Trennungsphase bei Eltern ausspricht. Ich kannte diesen Beitrag bislang nicht, zum Glück aber die liebe Lena. Vielen Dank für den Hinweis!

    https://www.ardmediathek.de/tv/Nordmagazin/Studie-Wechselmodell-tut-Trennungskinde/NDR-Fernsehen/Video?bcastId=25231222&documentId=57154854

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