Geht da noch was?

„Läuft noch was auf Wechselmama? Oder machst du für immer Schreibpause?“

fragt mich mein Wechselmama-Leser der ersten Stunde, der mittlerweile auch mein lieber Freund geworden ist. Wir sitzen morgens im Nebel auf dem kleinen Steg meines sehr kleinen Sees, gern treffen wir uns hier, all unsere Kinder sind bereits in der Schule, gleich geht es auch für uns vor den Rechner, zuvor noch ein heißer Tee und ein paar warme Worte.

Ich weiß nicht, was mit Wechselmama los ist. Ob noch was los ist.

„Wechselmama ist doch tot, Zeit für was anderes, spiel wieder Klavier!“ ruft mir der Eine über seinen sehr kleinen Rasen zu und widmet sich weiter hingebungsvoll dem vertikutieren. Ich schaue ihm beim wuseln zu und überlege.. Ist Wechselmama wirklich tot? Gibt es nichts mehr zu schreiben, war es das schon, hat es sich etwa ausgeschrieben?

„Hast du denn keine Themen mehr? Brauchst du vielleicht Impulse von mir oder anderen Trennungseltern?“, simst mir eine meiner treuen Leserinnen aus Köln.

Und ich frage mich auch: Ja, was ist denn passiert?

Eigentlich nicht viel. Weil so wahnsinnig viel passiert ist.

So viele andere Dinge stehen nun im Fokus. Und so viele andere im Hintergrund. Wechselmama bin ich weiterhin, ich meine aber das ganze Drumherum.

Vieles hat sich beruhigt und scheinbar normalisiert, aber wie kam das eigentlich? Eine doch sehr erstaunliche Wendung, wenn man bedenkt, dass unsere Konstellation ursprünglich nicht darauf ausgerichtet war, sich jemals zu beruhigen.

Manche Dinge änderten sich schleichend. Und manche Dinge änderten sich plötzlich.

So plötzlich, dass es schon nach kurzer Zeit wirkte, als hätte es nie eine andere Zeit gegeben.

„In ihrer Konstellation wird es keinen Frieden geben. Es wird immer Ausnahmezustand herrschen. Machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut.“ So und anders wurde uns, wurde mir dies immer und immer wieder durch Therapeuten, Coachs und selbst das Familiengericht bestätigt, es schien eine spezielle Form von Streit zu sein, weit über die Grenzen des Normalen hinaus, sagte man uns. Alles viel zu hart, zu verworren, zu verknöchert – keine Entwirrung möglich.

Alle gingen davon aus, dass der Kampf immer weitergehen würde, für die nächsten 20 Jahre, keinerlei Befriedung möglich. Nicht bei so verhärteten Fronten, nicht wenn von der einen Seite noch soviel Wut und Schmerz besteht, sich immer wieder neu nährt. Wie eine exotherme Reaktion, einmal entfacht, speist sie ihre Energie immer wieder neu.

Doch all das war vor einer globalen Pandemie, vor einem Krieg mitten in Europa, vielleicht auch vor der Feststellung, dass körperliche Gesundheit nur etwas sehr fragiles ist und all unserer Lieben gesund und kräftig waren.

All das war, bevor die Zeit unser aller Leben an sich nahm und es ein Stück weit aus der vermeintlich normalen Ordnung hinausschleuderte, um etwas Neues herzustellen. Eine neue Ordnung ist es, eine unstete, trügerische, unsichere, aber so viel bewusstere Ordnung, die nun unser aller Leben bestimmt. Und irgendwie auch eine so viel ruhigere Ordnung, zumindest was unsere kleine Familie angeht.

Irgendwann waren wir einfach zu kaputt für all diese Dinge. Oder hatten keine Lust mehr.

Und so haben sich einige Dinge, die in einer noch anderen Welt als absolut und präsent angesehen wurden, einfach so auf die hinteren Ränge der persönlichen Wichtigkeiten geschoben.

Damit wurde alles anders, mal schleichend, mal Knall auf Fall, und plötzlich fiel es auch auf: den Lesern, die nichts mehr auf Wechselmama zu lesen hatten. Oder der Wechselmama – also mir! – weil meine Schreibtage nun anderen Themen gewidmet wurden. Weil plötzlich so viele Dinge wichtiger wurden. Vielleicht auch, weil das Mogli Kind plötzlich so selbstständig wurde, dass es mit seinem eigenen Kopf immer mehr Dinge selbstständig entscheiden kann. Oder weil nicht nur einer die Gedanken an früher losließ, sondern auch der andere. Genau weiß das niemand. Es wird nicht besprochen.

Doch nicht immer hat die Stille auch ihren Frieden.

„Also Mama, jetzt erklär uns mal bitte, warum du zu Papa gesagt hast: ‚Steck dir die Schulschere doch in den Arsch!'“, fordert mich Mogli am Abendbrottisch unserer Freunde auf.

Große Augen, Stille und Äh, dann endlich lautes, herzliches Lachen. Das Moglikind lacht mit. Ich freue mich und bin sehr überrascht: über diesen herrlichen Moment der Bloßstellung, über mein keckes und reflektiertes Kind, welches sich nicht von unseren Streits auseinander bringen lässt, weder in seiner Loyalität, noch in seinem Gerechtigkeitssinn, und natürlich über meine wunderbaren Freunde, die keinerlei Entsetzen zeigen, sondern einfach nur den Witz des Moments zelebrieren.

Tja, so ist es, bei aller Nächstenliebe, bei allem Mitgefühl, bei aller Liebenswürdigkeit, bei allem vergeben und Sein-Lassen und Frieden-schließen und loslassen:

Manchmal klappt es eben überhaupt nicht.

Manchmal entbrennt aus einer gutgemeinten Absprache über die gemeinsam zu bestückende Schultüte aus dem Nichts heraus ein Streit, der kaum mehr zu bändigen ist, weil zu viele Ebenen aus all den Jahren noch unter dem mühsam hergestellten Waffenstillstand liegen. Und dann: geht die einst gutgemeinte Absicht des respektvollen Miteinanders völlig in die Hose. Gegebenenfalls mitsamt der Grundschul-Schulschere.

Steg im Nebel am See

„Du, das war richtig doof von mir, was ich da gesagt habe. Mir tut sehr leid, dass das passiert ist, ich habe mich bei Papa entschuldigt.“ Ich schaue mein Kind ernsthaft an, nachdem die Stille wieder hergestellt ist, und hoffe inständig, dass es keinen Schaden davon bekommt.

Und ja, das passiert hin und wieder noch, bei uns beiden. Aber nein, es hat in der Regel keinerlei Ähnlichkeit mehr zu früheren Streits. Diese Dinge sind nicht Wechselmamaspezifisch, sie können überall passieren, in jeder Familie, in jedem Model.

Und dann kann ich mich nur retten mit dem Mantra, wenigstens authentisch zu sein.

Im Guten wie im Schlechten und mit dem Eingeständnis: huch, da ging jetzt was total daneben. Und das kommt vor und ist nicht toll, aber unbedingt auch mal ganz normal bei Eltern. Und deshalb sind wir und du und ich und alle genauso toll und liebenswert wie sonst auch. Nur in echt und transparent. Und immer wieder völlig unperfekt.

Wichtig ist, dass wir uns dann wieder runterfahren können und unser Kind lernen darf: sie geht auch wieder weg, die Wut. Dass ist alles ganz normal. Da kann man sich auch mal entschuldigen, selbst wenn die Zähne dabei bedenklich knirschen. Aber das sind Dinge zwischen Mama und Papa und wir brauchen dabei keine Hilfe von dir, du wunderbares kleines Menschlein. Außer vielleicht, dass du uns unser Verhalten immer spiegeln darfst. Sogar sollst, denn nur so kann es weiterhin immer Öfters klappen, das Ding mit der größeren Ruhe und dem Frieden. Weil wir zum Glück dich haben, der uns auf unsere Fehler aufmerksam macht. Immer wieder.

Ich glaube nicht, dass Wechselmama tot ist. Ich glaube eher, dass es sich um eine Art kreative Schreibpause handelt. Während Wechselmama sich in aller Stille weiterentwickelt hat. Sich verändert hat. Einen Schritt zurück in die Normalität gegangen ist, welche es so eigentlich garnicht mehr gibt. Und ich bin gespannt, wie sich Normalität anfühlt, jetzt, wo sie ausgesprochen ist. Stay tuned.

 

Bild: Max Böhme, Unsplash I Text: Mareike Milde

10 Replies to “Geht da noch was?”

  1. Liebe Wechselmama, mir wurde dieser Blog von unserer Mediatorin empfohlen und er hat mich sehr berührt. Du sprichst Themen an, die viele Eltern in ähnlichen Situationen erleben, aber selten öffentlich diskutiert werden. Deine Offenheit schafft eine Verbindung zum Leser und gibt Raum für Reflexion. Vielen Dank für deine inspirierenden Worte !!!

    1. Liebe Sophie-Marie, wie schön dass deine Mediatorin auch Wechselmama-Leserin ist. Ich hoffe, dir können einige Beiträge bei Euren Themen helfen oder zumindest Mut machen. Alles Liebe!

  2. Dein Schreibstil ist einfach wunderbar. Du vermittelst die Gefühle und Gedanken so lebendig, dass ich mich direkt in die Situation hineinversetzt gefühlt habe. Weiter so!

  3. Hey Mareike,
    das ist echt super spannend. Ich bin auch schon vor einigen Jahren hier bei Dir gewesen, bin auch im Wechselmodell mit 3 Jungs, Grundschulalter. Und tatsächlich ist es bei mir genau so gelaufen in der letzten Zeit, echt genau so, wie bei euch/Dir.

    Ich hätte es nicht besser schreiben können. Und ich hätte es mir vor vier Jahren, dem Zeitpunkt der Trennung, niemals vorstellen können. Allerdings hat mir eine neue Selbtständigkeit sehr dabei geholfen, weil die neue Arbeit einfach echt ungemein Spaß macht.

    Das einzige, was mich noch stört ist, dass ich ein Haus gekauft habe, was nur 60 m Luftline vom alten Haus liegt, da hätte ich gerne mehr Abstand.

    Lasst es euch gut gehen und ich wünsche euch alles Gute und Liebe für die Zukunft.

  4. Ehrlich, die Sache mit der Scheere…grandios!!!! Superwitzig. ALles gute wünscht Claas, Trennungsvater im 3. Jahr. Schreib mal was über narzistische Elternteile!

  5. Was für eine spannende, selbstkritische Beobachtung und so viel selbstverständlicher Optimismus, dne ich dir sehr gönne! Genieß den Wechsel-Familien-Frieden, wenn er denn da ist, aber schreib unbedingt weiter!!

  6. Liebe Mareike, endlich mal wieder ein Post von Dir;)

    Ich habe mich gefreut, wieder ein Stück von Dir und Deinen Gedanken zu lesen. Für mich waren wieder tolle Gedankenanstöße dabei.

    DANKE

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