Vereinsdruck oder: Die Macht der Schere

Von Themen, bei denen ich im Wechselmodell nicht mitreden kann.

Manche Dinge gehen einfach nicht im Wechselmodell. Auch nicht im sechsten Jahr. Auch nicht bei uns. Erst recht nicht bei uns. Im Wechselmodell muss man mit der Lücke leben lernen.

„Sag mal, wo lässt du die Haare schneiden von Mogli? Ich muss unseren Friseur wechseln! Die liegen mittlerweile bei 90 Euro für einen Kinderhaarschnitt und die Stufen hinten sind vollkommen verschnitten! Hast du einen Tipp?“ fragt mich meine schöne Freundin mit ihrem ebenso schönen Kind beim Kinderturnen. Beide sehen aus wie aus einem Surfer Katalog und ich kann mir nicht vorstellen, dass selbst eine Topffrisur irgendeinen der beiden je entstellen könnte. Ich zucke bedauernd die Schultern.

Och Nöö.

Wir gehen nicht zum Friseur. Nicht dass ich nicht wollte. Es hat sich einfach nur schnell herausgestellt, dass mir der andere Teil zuvorkam. Indem er selbst schneidet. Es kam zu einem Zeitpunkt, als es wirklich andere Probleme zu klären gab als das noch schüttere Haupthaar unseres 1-jährigen Kindes. Irgendwann, in all dem Drama, fiel allerdings auf, dass ich auf gewisse Dinge bei der Frisur unseres Kindes recht dünnhäutig reagierte. Wenn sie viel zu kurz waren zum Beispiel. Und schon war das ein prima Punkt, weil wunder Punkt.

Dem Kind war das bisher zum Glück relativ egal. Und nach anfänglichen Protesten, Verhandlungsversuchen und Wutanfällen meinerseits hat sich nun bei mir dahingehend auch eine angenehme Dumpfheit eingestellt.

Und: es gibt so coole Mützen und Pailletten-Cappys, die alles bedecken können. Wirklich alles.

Die Haarkleider unseres Kindes ermöglichen mir immerhin einen unverfälschten Einblick in das Stimmungsbefinden unserer Wechselwelt.

Begrüßen mich zum Wechseltag Frisuren von Mireille Mathieu, Victoria Beckham (in Ihrer aktiven Spice Girls Zeit) und Ringo Star (gegen 1960), ist die Laune bestens bis, nunja, fast schon harmonisch.

Erwartet mich ein kleiner David Bowie (Heroes!), Farin Urlaub oder – zum Glück lange nicht mehr gehabt – Herbert Grönemeyer, grummelt irgendetwas gewaltig.

Und wenn mir ein fröhlicher Mini-Noel Gallagher entgegenläuft, weiß ich, die Kacke ist gewaltig am dampfen.

Alle Kinder brauchen Struktur. Und Hobbys.

„Mogli ist sechs und geht noch nicht zum Vereinssport?“

Och nöö.

„Wann hast du das denn vor? Willst du, dass kognitive und soziale Fähigkeiten total auf der Strecke bleiben? Denk an die Vorbelastung, die er mit sich herumträgt.“

Mein strikt nach äußeren Großstadt-Vollzeitelternansprüchen lebender Freund schaut mich fassungslos an.

HACH.

Finde doch mal einen Verein, der die Kinder alle zwei Wochen nimmt und nicht Erklärungen haben möchte, nach derer die Augenbrauen hochgezogen werden und ein pastorales: „Und wenn Sie einfach mal miteinander sprechen?“ kommt.
Versteht doch keiner, der nicht drinsteckt. Und ich spreche ja gern über diese Dinge in diesem Blog. Aber mit irgendeinem Vereinsvater fehlt mir dazu manchmal schlicht die Bereitschaft.

Trotzdem nehme ich mir die übergriffige Bekümmerung meines Freundes zu Herzen und komme auf die prima Idee, das Kind im Trampolinverein vorzustellen. Hier ist nämlich eine unregelmäßige Teilnahme ok, außerdem hüpft das Kind doch so gern auf den Spielplatztrampolinen und der Teenie Schwarm aus dem Nachbarhaus macht dies schon seit Jahren dort.

Also ab zum Trampolinsport der 4-6-Jährigen! Die uns gänzlich unbekannten Kinder starten mit quirligen Aufwärmübungen, die Erwachsenen gucken vom Gang aus durch die offene Tür zu. Also nicht bei uns. Bei uns ist es anders rum.

Mama läuft zwei Runden im Staffellauf mit und hüpft unter lauten Begeisterungsrufen über die winzig kleinen Trampoline.

Das Moglikind bockt derweil im Gang und schreit irgendwann: „Mama!! HaltStopp! Komm sofort mit nach Hause oder du kannst dir heute Abend allein vorlesen!“ Das wird irgendwie nüscht.

Zurück auf der Straße berichte ich von meinem Scheitern.

„Haste wenigstens gewonnen beim Staffellauf?“ fragt mich meine Nachbarin Michi streng, und wir lachen, bis ich mich an meiner Spucke verschlucke.

Och nöö.

Als ich sechs Jahre alt war, wollte ich unbedingt in den Karnevalsverein. Der Grund dafür war jedoch mitnichten mein fehlendes Choreotalent, sondern meine Freundin Stephi. So hüpften und stampften wir glücklich zwei Jahre lang als Chinesische Bonbons oder Hollandmädchen verkleidet in der Kindergruppe umher – über diesen astreinen Alltagsrassismus war sich damals noch niemand bewusst -; und obwohl ich mir bis heute keine noch so kurze Abfolge an Yoga-Asanas merken kann und zudem totaler Karnevalsmuffel bin, brachte ich meine ebenfalls Karneval-muffeligen-Eltern schon in meinem jungen Alter dazu, schlussendlich mitmachen zu dürfen. Wir waren jung, wir waren glücklich. Und auf eine gewisse Art waren wir selbstbestimmt, wenn man das so nennen kann.

Es wird Zeit, mich wieder zu entspannen. Und nicht auf die Stimmen rund um mich herum zu hören, die zwar Pläne für sich aufstellen können, aber die nicht zwingend für uns gelten müssen. Weil unsere Welt unsere ist. Das Kind ist so klar in seiner Haltung und kommuniziert so deutlich, wenn es etwas nicht will. Ich kann mir vorstellen, es wird genauso deutlich sagen, wenn es einmal nicht mit seiner Frisur zufrieden ist oder nun doch unbedingt Fußball im Verein spielen möchte.

Bis dahin freue ich mich einfach, wenn meine schöne Freundin ausgerechnet uns nach einem Tipp für einen Kinderfriseur fragt.

Und warte weiter. Auf bessere Schneideskills zum Beispiel. Oder eine schmissige Musikepoche. Ich glaube fest daran: die Zeit tickt für uns.

* Unbezahlte Werbung aufgrund Namensnennung prominenter Frisuren.

Bild: Matt Artz I Unsplash
Text: Mareike Milde

7 Replies to “Vereinsdruck oder: Die Macht der Schere”

  1. Das ist schön hier, danke, dass es diese Seite gibt! Lustig, traurig, genial geschrieben. Deckt alle Bereiche im Leben mit dem Wechselmodell ab. Freu mich immer wenn was Neues kommt. Alles Gute und ich bleib am Ball.

  2. „Und wenn Sie einfach mal miteinander sprechen?“ Wie oft ich diesen Satz schon gehört habe!! Und wie sehr ich ihn hasse! …So traurig es auch ist, musste ich gerade kräftig darüber lachen. Danke für den Beitrag!

  3. Ach ja. Seufz. Der Karnevalsverein. Als ein in Hessen geborenes und aufgewachsenes Kind muss man irgendwann mitmachen oder sich vom 11. November an bis Aschermittwoch eine Papiertüte über´s Gesicht ziehen. Vorzugsweise mit Mundloch zum atmen. 🙂 „Hollandmädchen hübsch und fein, laden dich zum ……? Mir fehlt da was im Text War es > singen>? War es tanzen? Es gab neben den „Chinesenbonbons“ und den „Hollandmädchen“ sogar mal einen Indianertanz. Das war ein Jahr an dem ich mal krankheitsbedingt nicht mitmachen durfte und so traurig war, denn alle Teilnehmerinnen hatten so schöne Perrücken mit schwarzen Zöpfen und das wollte ich als rothaariges Kind auch immer. Lange, schwarze Zöpfe. Ich habe mir dann halt oft daheim meine Schlafanzugshose über den Kopf gestülpt und freute mich darüber, zwei Zöpfe zu haben. 🙂
    Danke für die Erinnerung an diese Zeit. <3 Deine Stephi

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