Zurück auf Anfang oder: ist Normalität eigentlich relativ?

„Ach übrigens, wir starten wieder mit dem Wechsel. Am besten gleich übermorgen, ok? Denk an den Fahrradhelm! Dank Dir!“ Ich starre auf mein Handy und kann nicht glauben, was ich da lese. Dass diese Info irgendwann kommt und das Wechselmodell wieder startet, war mir klar. Aber warum jetzt und so plötzlich? Wieso so unvermittelt? Und klingt es nicht etwas…brutal? Ein heisses Gefühl krabbelt in mir hoch, meine Hände zittern.

„Es ist, als würde mir jemand erklären, unser Wechselmodell hätte es nie gegeben..,“ erzähle ich meiner Freundin und lache ein bisschen hysterisch. Alles fühlt sich so unwirklich an, jetzt, wo die Normalität, also unser ehemaliger Normalzustand, das ewige Wechselmodell, dieser stete Wechsel, wieder hergestellt werden soll. Ist das nun Freude, Erleichterung, Angst? Was ist es genau?

Zurück auf Anfang.

Viele Monate hatten wir ein Leben, wie wir es so lange nicht mehr hatten. Alltäglich mit dem Moglikind zu Hause, alltagtäglichen Abläufe, alltägliche Freuden, alltägliche kleine oder auch große Kabbeleien und vor allen Dingen: alltägliche Zweisamkeit.

Das es je so kommen würde, damit habe ich nie gerechnet. Dass es je wieder anders werden kann, damit habe ich erst recht nicht gerechnet.

Aber das Leben ist nunmal kein Normalzustand und genau wie wir damals in noch seltener Einstimmigkeit und aus gewichtigen, richtigen Gründen beschlossen, das Wechselmodell zu pausieren, genauso einstimmig würden wir es wieder aufheben. Dachte ich.

Aber das Leben besteht nunmal nicht nur aus gemeinsamen Entscheidungen, ich sollte es besser wissen. Pustekuchen.

Unser Leben, es will nun also wieder in Normalbahnen laufen, und ausgerechnet ich: halte davon garnichts. Wie konnte es soweit kommen? Was bedeutet nach allem Gewesenen überhaupt noch Normalität? Gibt es überhaupt eine Normalität für uns? Und: ändert sich die Normalität jeweils in Relation zur Betrachtungsweise?

Auf mir unerklärliche Art und Weise möchte ich jetzt nicht loslassen und mein Kind wieder fortgeben, zurück zum Vater, für zu viele Tage am Stück. Obwohl der Papa doch auch sein Kind so wahnsinnig vermisst, obwohl es nur richtig ist, nach all der langen Zeit, obwohl es genauso sein sollte, obwohl …nein, ich will nicht.

Mir ist klar: für mindestens zwei von uns wird es sehr schön werden, schon gleich diesen Freitag. Mir ist auch klar: Für mich wird es zu leer und viel zu leise.

Ich fühle mich wie abgewatscht, ausgeschlossen, gebraucht, benutzt und abgelegt. Sehe irritiert, wie das Moglikind über diese Neuigkeit jubelt, wie die Pläne nur so aus ihm nur heraussprudeln, die er mit seinem Papa bald nachholen will, und ich lache mit und gleichzeitig fühlt es sich etwas schal für mich an.

Ich habe Angst vor der vielen Zeit allein und der lauten Stille.

Dabei war der Anfang auch schwer, der spontane Sprung aus unserem völlig normalen Wechselleben in das stetige Leben, in das 100% mit Kind-Leben, was so viele Familien ganz selbstverständlich führen, war für uns zuerst eine Herausforderung. Ich dachte, diese neue – natürliche – Intensität bekomme ich nicht mehr hin, zu sehr war unser aller Leben perfekt auf die Wechsel eingestimmt, nach all den Jahren tickerten wir wie ein Uhrwerk – jeder für sich selbst allein, und alle allein gemeinsam.

Doch schon nach wenigen Wochen tickerten wir wieder perfekt, miteinander, beieinander, und purzelten wir zu Beginn noch geräuschvoll durch das alltägliche Chaos, stimmten sich schon bald wieder Schule, Freunde, Arbeit und Alltag auf uns ein. Wir lernten die Zeit wieder dort miteinander zu nutzen, wo sonst jede zweite Woche Pause war. Holten eine Haushaltshilfe und spannten Freunde ein, damit das Moglikind alle Zeit der Welt bekommen konnte, um das vermissen nach der anderen Woche, dem anderen Elternteil, möglichst gut abzufedern, um bei Enttäuschung, Wut und Traurigkeit immer Halt zu haben – und scheinbar gelang dies erfolgreich. Es wurden gute Wochen. Das Frühzubettgehen um acht wurde auch für mich zur liebgewonnenen Tradition.

Es war doch so schön mit uns, wieso kann sich das Moglikind so auf den anderen Elternteil freuen, flüstert eine leise Stimme in mir. Das ist doch schön und toll und wichtig, eiere ich lahm und mechanisch zurück, das Moglikind braucht beide Eltern. Die Stimme in mir lacht verzweifelt auf und tönt noch eine ganze Weile in meinem Kopf herum.

Ich weiß, dass ich nicht lange brauchen werde, um in meine alte Fassung zurückzufinden.

Ich wusste ja, dass das auch irgendwann einmal wieder kommt.

Nur damit gerechnet habe ich nicht.

Ich habe Angst vor dem konzentrierten Arbeiten. Vor den ungestörten Momenten mit meinen Freunden, mit denen ich bald wieder ohne Unterbrechung plaudern kann. Ich sehe ohne Freude auf Dinge hinaus, die mir sonst so viel Wert schienen, weshalb ich meine freien Wochen liebte: anspruchsvolle Reportagen und Dokumentationen, spontanes ausgehen am Abend, frühmorgendliches Tennisspielen, berufliche Reisen, meine Elektromukke und ungestörtes Schreiben, ins Bett gehen weit nach Mitternacht. Und auch auf etwas weniger Verantwortung und Alleinbelastung, weil etwas weniger Kind zu Hause ist und in der anderen Woche der andere Elternteil die gleiche Verantwortung trägt. Nun habe ich keine Lust auf all die Dinge, nach denen ich mich monatelang gesehnt habe. Mein Problem war es nie, allein zu sein. Ich konnte in beiden Welten wunderbar leben.

Dabei brauche ich wohl doch nur das Eine. Eine Welt und dich.

Die Wechseluniform wieder anzuziehen, die ich so lange Zeit abgelegt hatte, weil die äußeren Umstände dermassen anders waren, als alles zuvor – ich will das nicht mehr. Kein Mensch muss nach Mitternacht ins Bett gehen!

Ich weiss ja, das ich spätestens morgen, allerspätestens übermorgen, nein, aller-aller-aller-allerspätestens übernächste Woche mit einem verheissungsvollen Optimismus aufwachen werden, weil ich mich so sehr freue, fürs Moglikind und sein Stück Normalität, welches er zurückbekommt, für den Papa, der so viel Mogli entbehren musste in den vergangenen Monaten und auch für mich, weil ich so viel MICH entbehren musste, was ist denn nur mit mir los, ich frage mich.

Schon bald, da werde ich die Vorzüge wieder spüren und sehen können, die von unserem privilegierten Leben mit all seinen Freiheiten und Vorzügen ausgehen, da bin ich mir sicher.

Aber für diesen Moment, für jetzt, für heute, da fühlt sich das alles gerade ziemlich Banane und traurig an.

Doch so soll es jetzt wohl einfach mal sein.

Ich packe mit dem Moglikind also seine Sachen, Dinge, die wir sonst nie packen, weil wir nie Dinge hin und hernehmen, denn das Moglikind mag so gerne getrennte Welten. Weil er schon immer alles in sich drin hatte, weil er immer schon einfach vollkommen mit sich war, doch nach all der langen Zeit, da haben sich die Dinge verschoben, da hat sich so viel verändert, da muss so vieles gezeigt und besprochen und bestaunt werden, nur nicht mit mir, ich kenne das nun alles. Es fühlt sich komisch an, ich packe lahm und wehmütig und manchmal, wenn ich mich dabei ertappe, dann kichere ich unbedacht mit.

Die Normalität hat nun auch uns erreicht, nach all den vielen Monaten, und ich weiß noch nicht so recht, ob nicht doch das andere unsere Normalität war, all die letzten Monate, zumindest meine, so fühlt es sich gerade an. Einst fragte ich mich, ob ich eine ganze Mama sein kann, gerade frage ich mich, ob ich als halbe überhaupt noch existieren werde.

Am meisten frage ich mich aber: gibt es das überhaupt, eine Normalität?

Sie scheint sich nicht mehr einzustellen, in dieser neuen komplizierten Welt. Vielleicht ist es das, was sie eigentlich ausmacht. Der stetige Wandel, alles fließt, Panta Rhei. Ich fällt mir schwer, mich daran zu gewöhnen. Hin und Her.

Verrückte Welt.

Bild: Jon Tyson I Unsplash, Text: Mareike Milde

7 Replies to “Zurück auf Anfang oder: ist Normalität eigentlich relativ?”

  1. Liebe Mareike,

    ich gebe dir zu 100% Recht… Das Leben ist kein Normalzustand!

    Auch wenn wir es gerne hätten und manche Menschen sind ein Leben lang auf der Suche danach. Aber ja … macht es das Leben nicht sogar aus? Dieses Hin und Her … ich glaube auch nur so können wir wirklich auch mal wieder aus unserer „Komfortzone“ herauskommen und daran eben auch wachsen.

    Echt spannendes Thema! Du regst wunderschön zum Nachdenken an! Ich mag deine Gedankengänge sehr, denn uns geht es alle so und zumindest sehr ähnlich würde ich mal sagen: Den Sinn des Lebens zu finden… UNSEREN Sinn des Lebens – den ganz individuellen.

    Ich danke dir von Herzen!

    Alles Liebe,
    Birgit Gattringer (StarkeKids)

  2. Die Frage nach der Normalität regt zum nachdenken an… irgendwie stellst du so wichtige Fragen und lässt genug Spielraum, dass man sich beim lesen selbst reflektiert und mit seinem eigenen Schicksal vergleichen kann. Ich freue mich immer darauf, von dir zu lesen. Sophie-Marie.

  3. Deine Beschreibung der inneren Zerrissenheit und der gemischten Gefühle beim Wechselmodell ist sehr einfühlsam, liebe Wechselmama, ich finde mich darin wieder. Bei uns steht aktuell nach 2 Jahren Wechselmodell die Rückkehr in das Residenzmodell an. Die Kinder sind dann unter der Woche bei ihrer Mutter, anders lässt sich das nicht gut einrichten. Ich bin traurig aber auch irgendwie erleichtert, weil es so für uns im Alltag nur schwierig umsetzbar war Dein Blog tröstet.. Du findest immer die richtigen Worte, um die Komplexität der Situation zu erfassen. Ich finde es bewundernswert, wie du deine Gedanken so treffend ausdrückst und möchte dich ermutigen, weiter zu schreiben. Beste Grüße, Noah H.

    1. Danke für die warmen Worte Noah! Es freut mich ungemein, wenn der Wechselmama Blog manchmal trösten kann. Alles Liebe für dich! Mareike

  4. Danke für den Beitrag Wechselmama. Ich habe keinenNewsletter erhalten, freut mich als ich gesehen habe dass hier was zu finden ist. Bei uns ist nach den Sommerferien die Schwierigkeit zurück in die Wechsel zu gehen, da die kinder die Wochen bei mir immer sehr gut finden und danach mehr Zeit mit uns (meiner neuen Frau und mir) verbringen möchten. Wir leben seit mehr als 5 Jahren im Wechselmodell, ca 30%-40% sind sie bei mir. Kann mir denken wie schwer es ist für dich zurückzukommen. Alles Gute!

  5. Liebe Mareike, du beschreibst auf so einfühlsame Weise die inneren Konflikte und Emotionen, die mit Hin und Her des Wechsels und jetzt dem Neustart! nach so langer Zeit! einhergehen. Deine Offenheit und Ehrlichkeit machen diesen Blog sehr authentisch und helfen so! Ich kann mich so gut in deine Gedankenwelt hineinversetzen und freue mich, dass es auch immer ein bisschen Humor mitbringt. Alles Liebe, deine Christina.

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