Ein Christkind, Weihnachten und das Wechselmodell 2.0.

Oder: von sinnvollen und unsinnigen Vereinbarungen.

In jede Familienkonstellation gehören Vereinbarungen. So auch im Wechselmodell.

Unsere Vereinbarung war in etwa so lang wie die Strecke zum Mond. Bis diese endlich aufgestellt war, hätten wir allerdings auch zum Mars fliegen können.
Schlussendlich war das aber egal. Denn mit Inkrafttreten bestand nicht nur eine stabile Wechselregelung, sondern auch kein Raum mehr für Nebenkriegsschauplätze. Nicht nur für den Moment, sondern für die kommenden Jahre. Genügend Zeit für jeden von uns, sicher vom Mars auf die Erde zurückzukehren.

Die allermeisten Vereinbarungen sind auch heute noch äußerst sinnvoll. Wie gesagt: die Allermeisten.

Eine Vereinbarung ist totaler Quatsch: den Mogligeburtstag miteinander zu verbringen.

Alles dem Kinde zuliebe, wie wir einst sagten.
Alles dem Ego zuliebe, wie wir still wussten.

Diesen gewichtigen Tag wollte keiner verlieren, keiner wollte zurückstecken. Und so bestand der eigentliche Verlust darin, diesen Tag auf Krampf miteinander zu verbringen.

Fortan verging kein Weihnachten, an dem ich nicht irgendwann wütend weinte wegen all der Zerrissenheit und der dämlichen Spannung. Dem Kind hingegen war das reichlich egal. Zuletzt fragte es sogar, warum wir das tun, wir täten doch sonst nichts zusammen. Recht hatte das Kind.

Nach Jahren des Zögerns beschließe ich also, diese spezielle Feier, die wie ein dumpfer Druck bereits ab Frühsommer in der Hinterkammer meines Gewissens puckert, nicht mehr zu wiederholen. Denn eins ist sicher: auch die andere Seite findet das schrecklich.

Die Verhandlungsbasis ist gut. Dieses Jahr bin ich dran mit Weihnachten und Silvester. Nach einem Kitatermin schlage ich einen Café danach vor. Ehrfürchtig schaue ich unserem Ziel entgegen. 150m Wegstrecke, 2 bittere Filtercafés und gewaltige 20 Minuten Sprechzeit liegen vor uns. Kann man schaffen. Kann man auch dran scheitern.

Einatmen. Ausatmen. Aufgehts. Puh.

Ich: Nochmal wegen Weihnachten und Geburtstag…

Er: Wir haben August.

Ich: Es drückt mich jetzt aber.

Er: Es gibt doch eine Vereinbarung.

Ich: Damit bin ich nicht mehr glücklich.

Er: Das ist doch dein Problem.

Ich: Das geht so nicht mehr. Wir müssen diesen Tag nicht zusammen verbringen.

Er: Du willst mir unser Kind am Geburtstag vorenthalten?

Ich: Was hältst du davon, ich überlasse dir Geburtstag und Weihnachten. Ich dann die Tage dazwischen und Silvester. Ab nächstem Jahr wieder andersrum. Wär das was?

Er: Dann kann doch keiner mehr verreisen.

Ich: Wir verreisen Weihnachten doch sonst auch nicht.

Er: .

Ich: Alternative?

Er: .

Ich: Dann hole ich uns Hilfe von Außen. Es muss jedenfalls gelöst werden.

Er: Das geht andere nichts an.

Ich: Dann tu du nicht so, als geht’s dich auch nichts an.

Er: Du bestimmst doch nicht, was ich zu Weihnachten mache.

Ich: Du bestimmst doch nicht, ob ich Weihnachten was mit dir mache.

Er: Die Abmachung steht.

Ich: Nimm die Tage doch komplett. Ich bin raus. Nur ihr zwei Jungs.

Er: Willst du dich vor deiner Verantwortung als Erziehungsberechtigte drücken?

Ich: Scheinbar. Alternative?

Er: Du machst alles alleine dieses Jahr. Kannste gucken, wie du klarkommst.

Ich: Du meinst, wir belassen es bei diesem langen Block am Stück? Getrennt voneinander?

Er: Mir egal. Trink deinen Café allein.

Ich: Nö tschüss.

Empört strampele ich davon. Mein Kopf ist heiß, mein Hals pocht.
Der Fahrtwind ist kalt. Langsam kühle ich herunter.

Es ist einfach schwierig mit uns beiden. Zuviel Ebenen unter dem Gesprochenen, zu viel Misstrauen, zu viel Annahmen, der Andere könnte einem etwas wegnehmen, man könnte verlieren, zu…anstrengend einfach. Puh. Selbstmitleidig verdrehe ich meine Augen und strampele noch schneller. Haltstopp!

Kann es sein, dass wir gerade unsere erste eigene Neuregelung getroffen haben?

Abseits eines Schlichters, Mediatoren, Richters, ohne Anwaltsschreiben, Jugendamt oder Coach… nur für uns allein? Wie … naja… klitzekleine Erwachsene?

Rumpelig zwar, empört, zu emotional, Lichtjahre weg von Gewaltfreier Kommunikation, übellaunig, hitzig und überreizt, ja, aber…hey, eine Regelung! Und was für Eine.

Und plötzlich eröffnet sich vor mir, hier an diesem wechselhaften Spätsommertag, mitten im riesigen grünen Park, eine ganz wunderbare Aussicht. Vorweihnachtliche Stimmung breitet sich in mir aus. In meinem Kopf klingeln Glöckchen. Ich schmecke Hafermakronen auf der Zunge. Der Eiswagen scheppert klingelnd an mir vorbei. Ich kaufe mir eine riesige Kugel Mars-Eis*, das kommt meiner Weihnachtsstimmung am ehesten entgegen.

Auf uns wartet das erste richtige Weihnachtsfest, seit es Mogli gibt. Mit Menschen, die man liebt und einem Geburtstag ohne Spannungen, sieht man vom klassischen Wutanfall vor dem Zubettgehen aus.

Gleichzeitig bedeutet das aber auch Weihnachtsstress.

Trotz Geburtstag, der das Ganze doch immer so schön entzerrte. Und während wir sonst erst zwischen den Jahren in Weihnachtsstimmung kamen, kann man nun wieder zwischen dem 23. und Silvester verreisen wie man möchte. Ein Jahr mit dem Moglikind, ein Jahr eben ohne. Aber kein Jahr länger in dieser krampfigen Dreierkonstellation.

Leichtigkeit durchströmt mich. Wegen der Verbindlichkeit und der Aussicht.
Und auch etwas Panik, vor doppelten Geschenken kaufen, Familienzeit, die mir schnell zu eng wird, vor Päckchen und Paketen und all dem Zauber, genannt Vorweihnachtsstress, dem ich mich so lange mit gewichtigem Grund entziehen konnte – und den ich wirklich nicht vermisst habe.
Oder vielleicht doch?

Ich will es bald der Familie erzählen, Freude macht sich breit.
Zuvor aber spreche ich mit Mogli, gleich am Nachmittag. Ich frage ihn, was er davon hält, wenn wir seinen Geburtstag mit Oma und Opa und allen anderen feiern und Weihnachten auch und er davor oder danach das Gleiche mit Papa tun kann, aber eben nicht mehr wir drei miteinander. Er strahlt mich an: Du meinst, dann habe ich viermal Party, zweimal mit Papa und zweimal mit dir? Jep.

Perfekt, sagt er.
Happy Birthday, denke ich.

*Unbezahlte Werbung wegen Markennennung

Bild: Markus Spiske I Unsplash
Text: Mareike Milde

4 Replies to “Ein Christkind, Weihnachten und das Wechselmodell 2.0.”

  1. Danke für diesen Augenöffner, gleich umgesetzt im Wechselmodell /erfolglose Erziehungsberatungsmediation –
    knirschte auch
    Kinder Geburtstage mitverheiratet oder sollte ich geschieden sagen?

  2. Hallo Mareike,

    ich bin heute durch deinen Beitrag zu den unterschiedlichen Erziehungs-Stilen auf deinen Blog aufmerksam geworden. Möchte an dieser Stelle ein riesiges Lob loswerden und „freue“ mich in diesem Artikel ganz besonders über deinen niedergeschrieben Dialog mit dem Vater deines Kindes. Das zeigt mir, dass es nicht nur bei uns so „hochexplosiv“ zugeht in der Kommunikation und dass es viele andere „Familien“ trotz dieser Konflikte trotzdem weiter schaffen, am Wechselmodell festzuhalten. Wir machen das jetzt seit 2 Monaten und die Mutter meiner / unserer Kinder würde das ganze am liebsten eben wegen solcher Dinge direkt wieder einstampfen. Viel zu früh, wenn man mich fragt.
    Auch dass du schreibst „wir sind noch nicht so weit“ in Bezug auf eine emotionslose, nur auf das Kindeswohl gerichtete Kommunikation finde ich beeindruckend, mutig und sehr ansprechend ehrlich. Wir sind auch noch weit weg davon (Trennung war aber vor etwa einem Jahr) ich hoffe stark, dass sich das bald reguliert. Ich überlege auch oft, über einen neutralen Dritten (Erziehungsberatung, etc) Hilfe zu suchen, bekomme da aber leider wenig Begeisterung von der Gegenseite.
    Ich werde mir die Tage auf jeden Fall deine Inhalte zu Gemüte führen und hoffe, das eine oder andere daraus mitzunehmen und auch bei uns anzuwenden. Weiter so und danke für deine Mühe!

    Gruß
    Ein Wechselpapa

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